Menschenrecht Barrierefreiheit!

Artikel aus Leben & Weg
Ausgabe 3 /Juni 2015 von Dunja Fuhrmann
Barierefreiheit ist ein Menschenrecht Dunja Fuhrmann Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) e. V. BSK Bundesvorstand stellv. Leiterin der BSK-Landesvertretung Saarland Fotonachweis Presseproduktion VPA
Dunja Fuhrmann
Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) e. V.
BSK Bundesvorstand
stellv. Leiterin der BSK-Landesvertretung Saarland
Fotonachweis Presseproduktion VPA

Menschen sind nicht behindert, sondern sie werden behindert“. Diesen Satz hörtman häufig bei Diskussionen um Inklusion. Zu ersterem bin ich anderer Meinung. Ich bin selbst behindert, da ich durch meine spastische Paraplegie am Laufen gehindert werde – schlicht gehbehindert bin. Ich finde es auch nicht weiter schlimm, mich als Mensch mit einer Behinderung zu bezeichnen. Schlimm finde ich allerdings die Tatsache, dass ich in meinem Lebensalltag permanent durch Barrieren behindert werde. Und hier spreche ich nicht nur von den sogenannten „Barrieren in den Köpfen“ – also der Ignoranz von Menschen, die immer noch nicht kapiert haben, dass es Menschenrechte gibt, die für Alle zu gelten haben – ob behindert oder nicht – und für deren Umsetzung man alle Vorkehrungen zu treffen hat! Nein, ich spreche über bauliche Barrieren, die dazu führen, dass mir Teilhabe verwehrt wird und ich die Barrieren in meiner Umwelt in meinem Lebensalltag miteinplanen muss.

Navi in meinem Kopf

Dabei funktioniert mein Kopf wie ein Navigationsgerät. Meinen alltäglichen Lebensraum habe ich wie eine virtuelle Landkarte mit Zusatzinfos abgespeichert. Das dominierende Rot markiert alle Orte, die für mich nicht gehen. Das häufige Gelb, wo ich z. B. mit Hilfe reinkomme, oder wo ich z. B. nicht die Toilette benutzen kann. Und Grün sind die wenigen Orte, die tatsächlich barrierefrei sind. Somit weiß ich, in welche Geschäfte, zu welchen Ärzten und Apotheken ich ohne fremde Hilfe reinkomme und wo nicht. Ich kenne die öffentlichen barrierefreien WCs und Behindertenparkplätze in meiner Stadt. Weiß, welche Theater, Kinos, Schwimmbäder, Kneipen und Restaurants von mir ohne Hilfe aufgesucht werden können. Darüber hinaus sind Zusatzinfos ebenfalls abgespeichert: so z. B. ob bei diesen Orten eine kleine – für mich im Aktivrolli noch überwindbare – Stufe zu bewältigen ist, dieser Ort aber damit Ausschlusskriterium eines Treffens mit ‘nem Freund im E-Rolli ist.

Aber nicht nur die Gebäude und das nächste Rolli-WC sind markiert. Auch die Wege, die Steigungen und die Berollbarkeit der Wege im öffentlichen Raum sind abgespeichert. Dies ist u. a. dann wichtig, wenn ich von ‘ner Kneipe aus zum nächsten für mich zugänglichen WC rollen muss. Mit voller Blase übers Kopfsteinpflaster ist dann nämlich nicht so geschickt…

Und mein Kopf-Navi muss auch ständig aktualisiert werden, wenn beispielsweise Baustellen auf einmal meine Wegeführung durchkreuzen, den bekannten Behindertenparkplatz „verlegen“ oder gar aufheben oder die angesteuerte öffentliche WC-Anlage „außer Betrieb“ ist.

Durch die Erfindung von „wheelmap.org“ kann ich glücklicherweise außerhalb meiner Stadt auf die Kopf-Navis anderer Menschen mit Behinderungen zurückgreifen, um nicht völlig aufgeschmissen zu sein. Aber warum ist es denn nicht möglich, sich wie jeder andere Mensch ohne Kopf-Navi durch die Gegend zu bewegen und beispielsweise dort zu speisen, wo er will und nicht nur dort, wo man barrierefrei reinkommt?

Und selbst wenn etwas im Internet oder einer Werbebroschüre als „barrierefrei“ bezeichnet wird, heißt das noch lange nicht, dass dem wirklich so ist.

Ein jeder von uns, der nicht selbst sein barrierefreies Eigenheim gebaut hat, weiß, wie schwer es auch ist, auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt eine barrierefreie Wohnung zu finden. Meist begnügen wir uns nach etlichen Fehlbesichtigungen mit einer, wo man zumindest selbst mit seiner Behinderung einigermaßen zu Recht kommt, die also für einen und die eigene Behinderung entsprechend – also behindertengerecht ist.

Resultat war daher auch schon mal, dass ich zwar meine Wohnung über ’nen Aufzug erreichen konnte, aber leider niemand anderes meiner Rolli-Freunde, die nicht über die gleiche Sitzbreite und Rahmenlänge ihres Rollis verfügten, wie die des meinen. So wurde ich selbst dem Wohnungsmarktschuldend zum Ausgrenzer …

DIN-Normen

Irgendwo habe ich mal so etwas von DIN-Normen, Landesgleichstellungsgesetzen und Landesbauordnungen gehört….Vorschriften und Gesetze also, die doch zuallererst mal von denjenigen beachtet und umgesetzt werden sollten, die diese verabschiedet haben. So in Form von Vorbildsfunktion. Soviel ich weiß, steht da überall etwas von barrierefreiem Bauen – sowohl bei Neubauten, als auch bei Um- und Erweiterungsbauten. Aber wird diese Bauweise beachtet? Wird sie kontrolliert? Fehlanzeige….

Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Baupläne und sogenannte mit Steuergeldern geförderte „Leuchtturmprojekte“ ich mir in den letzten Jahren – sei es ehrenamtlich als kommunale Behindertenbeauftragte oder im Rahmen der BSK-Tätigkeit – angesehen habe und immer wieder feststellen musste, dass die Barrierefreiheit nicht umgesetzt wurde. Statt Barrieren abzubauen, wurden vielerorts sogar neue gebaut – sei es bei Gebäuden oder im öffentlichen Raum! Dabei ist doch gerade der Straßenraum der Mittelpunkt des öffentlichen Lebens einer Stadt. Muss seine selbstverständliche Benutzbarkeit für alle Menschen nicht gerade deshalb zur Baukultur jeder Kommune und zum Grundsatz jeder Stadterneuerung gehören?

Hier frage ich mich auch, warum haben wir all diese Gesetze, wenn sie nicht umgesetzt werden?

Der „Witz“ an der Sache ist ja, bei Nichteinhaltung passiert nix: weder gibt es eine Nutzungsuntersagung wie beispielsweise beim Brandschutz, noch eine andere Sanktion. Mit viel Glück wird nachgebessert, aber nur wenn der Aufschrei der Behindertenverbände groß genug ist. Hin und wieder klagt mal ein Verband… wie auch zuletzt der BSK.

Meist werden seitens der Bauherren und Architekten fadenscheinige Ausreden wie beispielsweise technischer, gestalterischer, finanzieller oder topografischer Art angeführt. Die Palette der Ausreden, um Menschen weiterhin auszugrenzen, füllt ganze Hallen. Versprechungen, das nächste Mal achtet man darauf oder bezieht Interessensvertreter und Fachleute von Anfang an mit ein, sind leere Phrasen.

Denkmalschutz

Ganz absurd wird’s ja, sobald die Kunst oder der Denkmalschutz bei Bauprojekten involviert ist. Da ist auf einmal die künstlerische Freiheit oder das Urheberrecht des Künstlers wichtiger, als die Menschen, die doch die Kunst bewundern sollen. Unlogisch geht’s auch beim Denkmalschutz zu: was nutzen denn z. B. unter Denkmalschutz stehende Gebäude, wenn immer mehr Menschen – der demografische Wandel lässt grüßen – diese nicht besichtigen können?

Werden dann ähnlich dem Fachkräftemangel in Deutschland in Naher Zukunft Kunstbegeisterte und Denkmalinteressierte aus dem Ausland gesucht?

Doch wer ist schuld an der sich ständig wiederholenden Misere? Die Architekten, die barrierefreies Bauen nicht als Pflichtfach im Studium haben und denen man doch daher keinen Vorwurf machen kann, wenn sie die DIN nicht verstehen? Die Bauherren, die nicht explizit darauf hinweisen, dass alle Gesetze zum barrierefreien Bauen eingehalten werden müssen – einschließlich der LBO und der DIN-Normen? Die Bauaufsicht, die doch bei vielen Verfahren gar nicht involviert ist oder nur den Genehmigungsplan kontrolliert, wo aber die Details über die Barrierefreiheit nicht abgebildet sind und später „nur“ den Brandschutz kontrolliert?

Mir ist diese Schuldfrage sch…egal, ich fordere nur, dass sich endlich an die geltenden Gesetze zum barrierefreien Bauen gehalten wird. Hier muss endlich ein klares Signal gesetzt werden, schließlich bauen wir für Alle und nicht „nur“ für die 10% der Menschen mit Behinderungen. Die meisten Behinderungen werden im Laufe des Lebens erworben und spätestens im hohen Alter werden sich auch all diejenigen, die ohne Behinderung alt wurden, glücklich schätzen, wenn sie auch dann mit Sehschwäche, eingeschränktem Hörvermögen und körperlicher Einschränkung noch in der eigenen Wohnung leben und am gesellschaftlichen Leben ohne bauliche Barrieren gleichberechtigt teilhaben können.

Es muss endlich Schluss sein, dass barrierefreies Bauen immer gleichgesetzt wird mit Bauen für Behinderte! Jeder kann eine barrierefreie Toilette benutzen, dazu braucht er keine Behinderung. Ich will auch keine Extras! Da sparen wir doch Geld, wenn alles von jedem benutzbar ist. Und es muss endlich mit dem Vorurteil aufgeräumt werden, barrierefreies Bauen wäre um ein vielfaches teurer!

Aber was passiert in unserer Gesellschaft? Statt barrierefreies und damit diskriminierungsfreies Bauen endlich voranzutreiben, werden neue Begriffe eingeführt: seniorengerecht, barrierenreduziert, rollstuhltauglich, behindertenfreundlich…. – das Sammelsurium wirklich nichtssagender Begriffe wird immer abstruser! Was soll ich mir unter diesen Worten vorstellen? Wenn ich als Senior in einer „seniorengerechten Wohnung“ nicht klar komme, bin ich dann vielleicht am Ende kein Senior? Bedeutet „behindertenfreundliches Hotel“, dass mir Mitarbeiter jeden Tag freundlich begegnen und gegenüber meinem nichtbehinderten Freund unhöflich sind?

Das Schlimme ist, gerade unsere Volksvertreter saugen diese Begriffe wie ein Schwamm auf und publizieren dies umso mehr. So heißt es überall, „wir müssen aufgrund des demografischen Wandels den seniorengerechten Wohnungsbau vorantreiben“. Auch die KFW-Förderung finanziert nun diese Kategorie. Doch das ist absurd, denn baurechtlich sind diese Begriffe nicht definiert. Leute, das muss aufhören! Wann kapiert ihr denn endlich, dass barrierefrei diskriminierungsfrei bedeutet?

Hier ist ein jeder von uns gefragt, diese nichtssagende Unwörter aus seinem sowohl aus dem Vokabular des Gegenübers auszutreiben. Wir müssen dafür sorgen, dass sich einzig und allein „Barrierefreiheit“ in die Köpfe einbrennt und vehement dafür eintreten, dass sich an die Gesetze für barrierefreies Bauen gehalten wird. Denn nur so können die Barrieren in meinem Kopf(-Navi) endlich beseitigt werden!

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